Interview mit Kim Naidzinavicius

Kim Naidzinavicius
Geburtstag: 6. April 1991
Aktueller Verein: SG BBM Bietigheim
Deutsche Nationalspielerin, Länderspiel-Debüt: 27. Mai 2012

Ihr habt zuletzt gegen eine ungarische Mannschaft gespielt, von der inzwischen eine Spielerin positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Nun sind eure nächsten zwei Spiele abgesagt und du befindest dich zurzeit in häuslicher Quarantäne. Wie geht es dir?

Kim: Mir geht es gut. Ich habe überhaupt keine Symptome. Mein letztes Testergebnis war negativ und ich warte jetzt auf das neue Testergebnis und hoffe, dass dies auch negativ ist. Zwei Tage zu Hause kann man auf jeden Fall aushalten, das ist mal ganz angenehm. Ich hoffe aber, dass das nicht die nächsten zwei Wochen so bleibt.

Wie verbringst du deine Tage in häuslicher Quarantäne? In einem Interview hast du mal gesagt, du puzzelst gerne, um abzuschalten. Puzzelst du jetzt viel?

Kim: Die Puzzle habe ich noch nicht wieder rausgeholt – wäre aber auf jeden Fall eine Idee, wenn die Quarantäne länger anhalten sollte. Wir waren jetzt sehr, sehr viel unterwegs, hatten sehr, sehr viele Spiele. Das heißt, es ist gerade mal angenehm, keine Termine zu haben. Und ich muss zugeben, dass ich die letzten anderthalb Tage hauptsächlich auf der Couch vorm Fernseher verbracht habe. Aber ich habe mir schon ein paar Sachen aufgeschrieben: ausmisten, aufräumen. Ich habe glücklicherweise auch eine Spinning-Bank zu Hause stehen, das heißt, ich kann auch mal was machen, wobei ich schwitze.

Wenn wir zurückblicken zum Lockdown im Frühjahr: Wie lange musstest du mit dem Handball-Training aussetzen?

Kim: Wir hatten uns gerade auf das Spitzenspiel beim Thüringer HC vorbereitet. Und dann ging es ganz schnell: Wir durften nicht mehr trainieren, wir durften nicht mehr spielen. Von Mitte März bis Anfang Juli haben wir nichts mit Handball gemacht.

Wie hast du dich in dieser Zeit fit gehalten?

Kim: Ich habe das Glück, dass ich ganz gut ausgestattet bin. Außerdem haben wir von unserem Athletik-Trainer noch einige Utensilien bekommen, so dass wir mit Blick aufs Krafttraining sehr gut üben konnten. Läuferische Sachen gingen sowieso. Ich muss aber auch ehrlich sagen, dass ich in dieser Zeit nahezu keinen Handball in der Hand hatte.

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Wir haben für unsere Spieler*innen im Sommer einen alten Beachplatz wieder flott gemacht, damit sie draußen spielen konnten. Spielst du auch Beach-Handball?

Kim: Nicht mehr. Früher sind wir insbesondere in unserer freien Zeit mit ein paar Freundinnen auf Beachplätze gefahren. Aber in letzter Zeit nicht mehr. Da soll die handballfreie Zeit auch tatsächlich mal handballfrei bleiben. Und während der Saison bleibt dafür einfach keine Zeit und mir wäre das Risiko zu groß, dass dabei etwas passieren könnte.

Was hast du in der handballfreien Zeit besonders vermisst?

Kim: Das Zusammensein mit der Mannschaft! Wir sind es gewohnt, uns nahezu jeden Tag zu sehen, wir sehen uns teilweise zwei Mal am Tag. Ich verbringe mit meiner Zimmerpartnerin fast mehr Zeit als mit meinem Partner. Das war ein krasser Cut, den wir da hatten, dass wir uns gar nicht mehr gesehen haben. Klar, man schreibt, man macht auch mal ein Zoom-Meeting. Aber das Zusammensein, auch mal über Unsinn reden mit den Mädels – das hat schon am meisten gefehlt.

Ihr dürft zwar jetzt wieder spielen – aber die Zuschauer fehlen. Wie empfindest du das?

Kim: Das ist furchtbar! Natürlich sind wir glücklich, dass wir spielen dürfen. Aber es ist schon gruselig. Wir haben trotzdem zum Teil in unserer großen Arena gespielt, wo sonst an guten Tagen 3.000 Zuschauer waren. Wenn man da jetzt einläuft und es klatschen zwei Leute, dann ist das schon ein komisches Gefühl.

Du bis ja gleich doppelte Kapitänin: in Bietigheim und in der Nationalmannschaft. Was sind deine wichtigsten Aufgaben als Kapitänin?

Kim: Das unterscheidet sich. Im Verein gibt es zu Beginn der Saison viele neue Spielerinnen, da versucht man natürlich, organisatorisch zu helfen. Das fällt bei der Nationalmannschaft weg. Da geht es mehr um das, was auf dem Spielfeld stattfindet. Allein die Position, die ich spiele, Rückraum Mitte, bringt das mit sich, dass man auf dem Feld Verantwortung übernimmt, dass man den Takt angibt. Das würde ich wohl auch machen, wenn ich keine Kapitänin wäre.

Ist das denn eine Position, die du schon immer machen wolltest?

Kim: Ich würde mich gar nicht als jemanden beschreiben, der optimal in diese Rolle passt, weil ich eher ruhiger und introvertierter bin und nicht jemand, der immer gerne im Mittelpunkt steht. Da musste ich mich erst mal rantasten. Ich versuche das so zu machen, wie es für mich authentisch ist. Ich bin niemand, der immer laut ist, der immer die Aufmerksamkeit sucht.

Kapitänin zu sein, das ist aber eine Aufgabe, die du weiterhin übernehmen möchtest?

Kim: Ja, auf jeden Fall. Gerade in der Nationalmannschaft ist das eine Riesenehre für mich, dass ich da auserwählt worden bin, das zu machen. Das bringt natürlich auch Verantwortung und ein bisschen Druck manchmal mit sich, aber wenn man die Ehre hat, das zu machen, will man das auch gut machen und so lange, wie man das machen darf.

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Jetzt startet in wenigen Wochen die EM in Dänemark – in Zeiten von Corona. Was erwartest du?

Kim: Das ist ganz schwierig. Heute in zwei Wochen steht unser erstes Spiel an. Das ist für mich noch so unfassbar weit weg. Die Möglichkeit, dass die EM noch abgesagt wird, ist noch riesengroß. Die Norweger haben sich ja schon zurückgezogen, die Dänen überlegen jetzt, ob sie übernehmen können. Da sind noch so viele Fragezeichen, dass ich mich schwer tue, mich damit so richtig zu beschäftigen. Jetzt noch die Tatsache, dass wir in Quarantäne sind … Wenn die EM stattfindet, glaube ich, dass wir eine gute Mannschaft zusammen haben. Ich hoffe, dass wir es schaffen werden, mit den Gegebenheiten dort umzugehen. Und wenn das alles so sein wird, freue ich mich darauf. Ich freue mich, mit den Mädels wieder zusammen spielen zu können. Ich freue mich, dass wir eine Möglichkeit haben, ein hoffentlich erfolgreiches Turnier spielen zu können. Aber ich glaube auch, dass uns allen klar ist, dass es mit Corona nicht so werden wird, wie es die letzten Jahre war.

Gibt es bei dir so richtige Corona-Frust-Momente?

Kim: Ich will mich da in keiner Weise beschweren: Wir dürfen seit Juli durchgängig unserem Job nachgehen, der uns Spaß macht. Es ist ein Luxus, dass wir das machen dürfen und wir genießen das sehr. Zumal wir wissen, dass es viele – vor allem auch viele Kinder – nicht machen dürfen. Für mich bringt im Moment die Unwissenheit den meisten Frust mich sich. Mit Blick auf die EM, mit Blick auf die Bundesliga – das ist alles so unplanbar. Und ich bin eigentlich jemand, der gerne einen Plan hat und der gerne montags weiß, was er donnerstags trainiert.

Du hattest ja 2017 die schlimme Knieverletzung. Und nicht nur die Verletzung selbst war heftig, auch der Zeitpunkt unmittelbar zu Beginn der WM. Wie hast du es geschafft, optimistisch zu bleiben?


Kim: Das hat überraschenderweise nicht so lange gedauert. Ich glaube, mir war schon immer klar, dass Verletzungen zu unserem Beruf leider dazugehören. Für mich persönlich kann ich sagen, ich konnte nichts dafür. Ich hatte sehr gut trainiert, ich war zu dem Zeitpunkt, als es passiert ist, fitter, als ich jemals zuvor war. Deswegen war das etwas, was dazu gehört, was man hinnehmen muss. Und ich habe glücklicherweise durch viel Unterstützung durch meine Mannschaftskolleginnen und meine Familie eine sehr gute Reha geschafft, in der ich sehr schnell für mich entschieden habe, ich komme zurück und ich komme besser zurück als zuvor. So konnte ich glücklicherweise die Traurigkeit schnell hinter mir lassen und nach vorne gucken.

Mit Blick auf unsere Spieler*innen: Was würdest du ihnen sagen, was ist besonders wichtig beim Handballspielen, worauf sollen sie achten?


Kim: Am allerwichtigsten ist der Spaß am Handballspielen. Ich habe früher jede Minute, die ich konnte, in der Halle verbracht und hatte einen Ball in der Hand, weil mir das so viel Freude bereitet hat. Ich glaube, wenn die Freude nicht da ist, dann kann man sich nicht weiterentwickeln. Man muss extrem viel Spaß bei der Sache haben. Man muss aber sicher auch Ehrgeiz mitbringen, man darf sich nicht von einer Niederlage runterziehen lassen. Ich finde es wichtig, dass man sich auch immer kleinere Ziele setzt. Man kann auch durchaus mit Freude und Spaß aus einem Spiel gehen, wenn es mal verloren geht. Man muss versuchen, das Positive daraus zu ziehen.

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Auch zwei unserer Spielerinnen hatten die Gelegenheit, Kim Fragen zu stellen:

Alina: Hast du eine Lieblingsübung, die dir während der Corona-Pause geholfen hat, bei Laune zu bleiben? Oder eine, die auch wir zu Hause nachmachen können?

Kim: Ich habe oft mit meiner besten Freundin zusammen trainiert. Und wir haben uns vorher oft Pläne geschrieben. Zum Beispiel sind wir eine Runde ums Haus gerannt, dann haben wir 50 Sit-ups gemacht, dann sind wir wieder eine Runde ums Haus gerannt und danach haben wir 50 Seilsprünge gemacht. Wir haben auch die Zeit gestoppt, geschaut, wie schnell wir waren. Und in der nächsten Woche haben wir dann versucht, uns zu verbessern. Für mich ist es immer wichtig, dass man einen Anreiz hat. Und wenn man einen kleinen Wettkampf daraus macht, egal, ob gegen die Freundin oder gegen sich selbst,  das hilft bei der Motivation.

Floria: Die Jugendmannschaften haben ja im Moment keine Spiele, ihr schon. Fühlst du dich dabei wohl und freust dich? Oder fühlst du dich bei den hohen Infektionszahlen auch unwohl dabei?


Kim: Das Handballspielen ist für mich ja mein Beruf. Und so wie andere im Moment zur Arbeit gehen können und müssen und dürfen, so darf ich auch meinem Beruf nachgehen. Natürlich habe ich fast ein schlechtes Gewissen, dass ich meinen Sport machen darf, das, was mir Spaß macht, und ihr dürft das beispielsweise nicht machen. Ein schlechtes Gefühl wegen der Infektionen habe ich persönlich nicht. Ich weiß, dass in unserem Verein ganz viele Leute daran arbeiten, dass wir uns an alle Vorgaben halten und dass gut auf uns aufgepasst wird.


Stand: November 2020

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